Contents
- 1 Wie nützt ein Gemeinwohldienst den Leuten, die ihn leisten?
- 2 Wie nützt ein Gemeinwohldienst dem Gemeinwohl?
- 3 Für was für Leute wäre ein Gemeinwohldienst besonders interessant? Wie viele Menschen könnten das in Deutschland sein?
- 4 Wer soll einen Gemeinwohldienst NICHT leisten?
- 5 Haben denn die Leute im Niedriglohnsektor, die Erwerbslosen usw. die Kreativität und den Einfallsreichtum, einen Gemeinwohldienst zu leisten?
- 6 Wie viel sollen SGD-Leistende verdienen?
- 7 Wie soll der Gemeinwohldienst finanziert werden?
- 8 Wie soll ein Gemeinwohldienst in der Praxis gestaltet werden?
- 8.1 Wer finanziert den Gemeinwohldienst?
- 8.2 Wer befindet über Anträge und deren Gemeinwohlorientierung?
- 8.3 Wer bestätigt, ob der Gemeinwohldienstleistende seine Arbeit tatsächlich leistet?
- 8.4 Wie wird der Gemeinwohldienst von Stellen im regulären Arbeitsmarkt differenziert?
- 8.5 Wie wird vermieden, dass gemeinnützige Organisationen normal bezahlte Leute entlassen und stattdessen ihre Arbeit von Gemeinwohldienstleistenden machen lassen?
- 8.6 Wie gehen Organisationen damit um, wenn Gemeinwohldienstleistende besser bezahlt werden als regulär bezahlte Angestellte, die ein ähnliche Arbeit verrichten?
- 9 Ist der bürokratische Aufwand nicht viel zu groß, über all diese Anträge zu befinden und die Leistungen der SGD-Leistenden zu überwachen?
- 10 Wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) nicht ein besserer Weg zur Umverteilung und Wahrung der Menschenwürde?
- 11 Wie soll ein Gemeinwohldienst verwirklicht werden?
- 12 Es herrscht doch Vollbeschäftigung! Wozu brauchen wir jetzt ein Vollbeschäftigungsprogramm?
- 13 Ist Ähnliches schon mal gemacht oder vorgeschlagen worden?
- 14 Würde eine Regierung je eine solche Zahl von Gemeinwohldienst-Stellen anbieten, dass die Macht der arbeitenden Menschen tatsächlich so wie hier vorgesehen gestärkt würde?
Wie nützt ein Gemeinwohldienst den Leuten, die ihn leisten?
Die Gemeinwohldienstleistenden
- erhalten ein ausreichendes Einkommen,
- finden persönliche Befriedigung in einer sinnvollen Tätigkeit, die ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht,
- erleben soziale Anerkennung und Erfolgserlebnisse durch ihre Tätigkeit,
- können sich beruflich weiter qualifizieren durch die Erfahrung, die sie gewinnen,
- können unter Umständen ihren Gemeinwohldienst in eine selbständige Erwerbstätigkeit weiterentwickeln,
- verbessern ihre Verhandlungsposition, wenn sie sich für eine reguläre Stelle bewerben, weil sie nicht aus der Erwerbslosigkeit kommen,
- haben die Freiheit, ein unbefriedigendes Arbeitsverhältnis zu verlassen, ohne schon vorher eine neue Stelle im onrmalen Arbeitsmarkt gefunden zu haben.
Wie nützt ein Gemeinwohldienst dem Gemeinwohl?
Dem Gemeinwohl wird direkt durch die Tätigkeiten der Gemeinwohldienstleistenden gedient. Welcher Art der Nutzen ist hängt jeweils von den konkreten Tätigkeiten ab. Freiwilligenbörsen (zum Beispiel die Freiwilligenbörse Heidelberg) können Anregungen geben, welche Tätigkeiten möglich sind, doch sollen solche Anregungen der individuellen Kreativität keine Grenzen setzen! Der Nutzen durch diese Tätigkeiten ist hoch, denn die Gemeinwohldienstleistenden sind ganz bei der Sache, weil ihre Tätigkeit ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht. Darüber hinaus gibt es wesentliche weitere Nutzen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene:
- Die Chancengleichheit wird erhöht: jeder erwerbsfähige Mensch hat nicht nur eine Chance auf Bildung, sondern auch auf einen Arbeitsplatz, der den eigenen Interessen und Fähigkeiten entspricht. Hierdurch würde erstmals den Artikeln 6 und 7 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Genüge getan. Dieser Pakt, der von 168 Staaten (einschließlich aller wichtigen europäischen Staaten) ratifiziert worden ist und 1976 in Kraft getreten ist, begründet in diesen Artikeln das Recht auf Arbeit („das Recht jedes einzelnen auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen“) und auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen. Außerdem verpflichtet Artikel 6 die Vertragsstaaten „zur Festlegung von Grundsätzen und Verfahren zur Erzielung einer stetigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung und einer produktiven Vollbeschäftigung unter Bedingungen, welche die politischen und wirtschaftlichen Grundfreiheiten des einzelnen schützen.“ Das Recht auf anständig bezahlte, frei gewählte und angenommene Arbeit ist für viele Menschen in allen Ländern derzeit eine reine Fiktion, weshalb diese Vertragsverpflichtung noch von keinem Staat erfüllt worden ist.
- Die Leistungsgerechtigkeit wird erhöht: mit moderater Anstrengung kann jede erwerbsfähige Person ausreichend verdienen, denn der selbstbestimmte Gemeinwohldienst steht allen potenziell zur Verfügung. Mit mehr Anstrengung kann man jedoch mehr verdienen, zum Beispiel indem man in einer besser bezahlten Stellen Vollzeit arbeitet, neben dem Gemeinwohldienst zusätzlich eine Teilzeitstelle annimmt, oder statt des Gemeinwohldienstes woanders Teilzeit arbeitet, aber zu einer besseren Bezahlung. Menschen, für die ein Gemeinwohldienst zu anspruchsvoll ist, können eine weniger anspruchsvolle Erwerbstätigkeit ausüben (zum Beispiel in Behindertenwerkstätten) oder auf Sozialtransfers wie ALG II zurückgreifen.
- Der Niedriglohnsektor wird tendenziell ausgetrocknet, weil schlecht bezahlte Menschen die Alternative haben, statt Vollzeit nur noch Teilzeit im niedrig bezahlten Job zu arbeiten, daneben einen Gemeinwohldienst zu leisten und dadurch insgesamt mehr zu verdienen. Dies übt einen starken Druck aus, die Löhne zu erhöhen, bis die Abwanderung in den Gemeinwohldienst gestoppt wird.
- Wenn die niedrigsten Löhne erhöht werden, werden auch Löhne im mittleren Bereich tendenziell erhöht, um das relative Lohngefüge innerhalb von Unternehmen zu wahren. Auf diese Weise kommt der Gemeinwohldienst auch etwas besser bezahlten Lohnempfängern zugute, die weiter an ihrer bisherigen Arbeitsstelle verbleiben.
- Die soziale Gerechtigkeit wird erhöht, weil die beruflichen Chancen und die Einkommen gerade der wirtschaftlich benachteiligten Menschen verbessert werden.
- Die erhöhten Einkommen der Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen erhöhen deren Kaufkraft. Dieser wirtschaftliche Impuls vergrößert den Markt insbesondere für Waren und Dienstleistungen des täglichen Gebrauchs. Die neuen Absatzmöglichkeiten dürften viele Unternehmen anregen, mehr zu investieren.
- Wirtschaftskrisen werden tendenziell abgeschwächt, weil die Menschen in der Krise eher in der Lage sind, ihre Einkommen einigermaßen stabil zu halten und daher die Nachfrage nach Gütern stabiler bleibt.
Für was für Leute wäre ein Gemeinwohldienst besonders interessant? Wie viele Menschen könnten das in Deutschland sein?
Erst wenn das Konzept in großen Teilen der Bevölkerung bekannt geworden ist lässt sich diese Frage durch entsprechende Umfragen beantworten. Derzeit ist es nur möglich, zu sagen, für was für Menschen der Gemeinwohldienst hinsichtlich ihrer Erwerbssituation interessant sein könnte, und die Zahl dieser Menschen anhand vorliegender Statistiken zu schätzen (zum Beispiel Zahlen des Statistischen Bundesamtes über die Unterbeschäftigung in Deutschland, hier der Stand von 2016, die Zahlen verändern sich natürlich von Jahr zu Jahr). Dabei sollten Doppelzählungen möglichst vermieden werden. Infrage kommen meines Erachtens
- Erwerbsfähige Menschen, die keinen Job finden (Stand 2016: rund 1,8 Millionen Erwerbslose in Deutschland, von denen allerdings eine große Zahl nicht oder nur eingeschränkt erwerbsfähig waren).
- in Teilzeit erwerbstätige Menschen, die mehr arbeiten und verdienen wollen (Stand 2016: Rund 1,4 Millionen).
- Menschen, die für einen niedrigen Lohn Vollzeit arbeiten, und mehr verdienen würden, wenn sie diese Arbeit auf Teilzeit reduzieren und daneben einen Gemeinwohldienst leisteten. Fast zehn Prozent der Vollzeit-Erwerbstätigen bezogen 2016 laut Statistischem Bundesamt (2017: Seite 9) einen Niedriglohn; das waren knapp 3 Millionen von den knapp 30 Menschen Vollzeitbeschäftigten in Deutschland. Sobald eine wesentliche Zahl dieser Menschen jedoch einen Gemeinwohldienst leisten und ihre anderweitige Arbeitszeit entsprechend reduzieren würde, müssten Löhne erhöht werden, um die verbleibenden Menschen in diesem Sektor an ihren Arbeitsplätzen zu halten. Somit würden die meisten letztlich bei ihrem jetzigen Arbeitsverhältnis bleiben.
- Menschen (insbesondere Frauen) mit familiären Verpflichtungen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen, die aber zeitliche Flexibilität brauchen und den Gemeinwohldienst entsprechend gestalten könnten. Solche Menschen werden statistisch als „Stille Reserve“ (2016: 1,0 Millionen) oder „sonstige Nichterwerbspersonen mit Arbeitswunsch“ (2016: 1,3 Millionen) aufgeführt.
- Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiographien oder mit Migrationshintergrund, die potenziellen Arbeitgebern schlecht vermitteln können, welche Fähigkeiten sie haben. Diese Menschen wären in den obigen Zahlen wahrscheinlich schon erfasst.
- Menschen, die eine innovative Idee haben, wie sie zum Gemeinwohl beitragen können, die aber zumindest vorläufig keine gute Idee haben, wie diese Arbeit zu einem Einkommen führen könnte. Diese Zahl ist kaum zu schätzen, dürfte aber weit geringer sein als die oben genannten Zahlen.
- Menschen, die eine am Gemeinwohl orientierte Geschäftsidee haben, aber in der Gründungsphase von ihrer Arbeit noch nicht leben können, und durch einen Gemeinwohldienst potenzielle Kunden überzeugen wollen, dass ihre Leistung einen Wert hat. Auch diese Zahl dürfte weit geringer sein als die anfangs aufgeführten Zahlen.
- Menschen, die eine Auszeit von ihrer jetzigen Erwerbstätigkeit haben wollen, während dieser Zeit aber auf ein Einkommen angewiesen sind.
Wenn man alle Menschen unter Punkten 1 bis 4 zusammenzählt, sind das Stand 2016 8,5 Millionen. Allerdings dürften viele der Erwerbslosen (Punkt 1) nicht oder nur bedingt erwerbsfähig sein, nicht alle der unter Punkten 2 bis 4 aufgeführten Menschen würden sich für einen Gemeinwohldienst interessieren, und niedrige Löhne müssten recht bald erhöht werden und die Attraktivität eines Gemeinwohldienstes senken, sobald eine wesentliche Zahl von Menschen den Niedriglohnsektor verlassen würde (Punkt 3). So gesehen könnte ein voll ausgebauter Gemeinwohldienst Stand 2016 vielleicht folgende Zahlen umfassen:
- 0,9 Millionen der 1,8 Millionen Erwerbslosen,
- 1 Millionen der 1,4 Millionen Teilzeittätigen, die mehr arbeiten wollen,
- 0,3 Millionen der 3 Millionen Vollzeittätigen im Niedriglohnsektor,
- 1 Millionen der 2,3 Millionen Menschen in „Stiller Reserve“ oder „sonstige Nichterwerbspersonen mit Arbeitswunsch“.
Insgesamt wären das rund 3 Millionen Menschen in Deutschland. Diese Zahl ist allerdings durch viele Unwägbarkeiten betroffen und ist deshalb mit Vorsicht zu genießen, und sie schwankt von Jahr zu Jahr. Idealerweise wäre der Gemeinwohldienst nur ein Bestandteil einer sozial-ökologischen Vollbeschäftigungsinitiative, durch die zahlreiche bezahlte Stellen für alle erwerbsfähigen Menschen geschaffen würden, zum Beispiel im Ausbau einer erneuerbaren Energieinfrastruktur, in der energetischen Gebäudesanierung, in der ökologischen Landwirtschaft und in einer verbesserten Pflege. In diesem Fall würde nur ein Bruchteil der hier erwähnten 3 Millionen Stellen im selbstbestimmten Gemeinwohldienst gebraucht. Der Schwerpunkt der Interessenten würde sich außerdem von den unter Punkten 1 bis 3 zu den unter Punkten 4 bis 8 aufgeführten Menschen verlagern. Um deren Innovationspotenzial und Lebensgestaltungen zu unterstützen, wäre ein Gemeinwohldienst selbst bei annähernder Vollbeschäftigung überaus sinnvoll.
Wer soll einen Gemeinwohldienst NICHT leisten?
Das Angebot des selbstbestimmten Gemeinwohldienstes soll sich explizit nicht an bestimmte Bevölkerungsgruppen richten. Dazu gehören
- Menschen aus dem Ausland ohne Arbeitserlaubnis in Deutschland,
- Kinder,
- erwerbsunfähige Menschen (zum Beispiel wegen chronischer Krankheiten),
- beschränkt erwerbsfähige Menschen, sofern ihre Behinderungen einem Gemeinwohldienst entgegenstehen,
- Menschen im Rentenalter.
Der Gemeinwohldienst soll soziale Hilfen für Menschen in diesen Lebenslagen nicht ersetzen. Notwendige oder erstrebenswerte Verbesserungen in diesen Bereichen sind unabhängig von einem Gemeinwohldienst und werden hier nicht angesprochen.
Haben denn die Leute im Niedriglohnsektor, die Erwerbslosen usw. die Kreativität und den Einfallsreichtum, einen Gemeinwohldienst zu leisten?
In allen gesellschaftlichen Schichten gibt es sowohl kreative wie auch einfallslose Menschen – aber sozial benachteiligte Menschen haben nur eingeschränkte Gelegenheiten, ihre kreativen Vorstellungen zu verwirklichen. Ihre Kreativität wird deshalb oft unterschätzt. Ein Gemeinwohldienst würde ihnen bessere Gelegenheiten bieten, ihr Potenzial auszuleben. Beratungsangebote für Leute, die einen Gemeinwohldienst leisten wollen, könnten natürlich ebenso sinnvoll sein wie einschlägige Angebote für Existenzgründerinnen.
Die Frage, welches menschliche Potenzial durch einen Gemeinwohldienst mobilisiert werden könnte, kann durch Befragungen zumindest ansatzweise beantwortet werden. Man kann Menschen aus relevanten sozialen Milieus befragen, ob sie sich vorstellen können, einen Gemeinwohldienst zu leisten, und was für eine Tätigkeit sie in diesem Falle gerne ausüben würden. Durch Pilotprojekte kann sich herausstellen, welche Tätigkeiten tatsächlich vorgeschlagen und schließlich ausgeübt werden, und wie sehr sich die Leute engagieren. Beides, Befragungen und Pilotprojekte, wären notwendige Schritte zur Einführung eine Gemeinwohldienstes.
Schließlich: längst nicht alle Erwerbslosen oder Unterbeschäftigte müssen einen Gemeinwohldienst leisten, damit er seine gewünschten Wirkungen erzielt. Denn selbst wenn er als reale Alternative für alle zur Verfügung steht, erweitert er auch die Möglichkeiten für alle.
Wie viel sollen SGD-Leistende verdienen?
Es sind verschiedene Bezahlmodelle denkbar. Auf jeden Fall sollte die Bezahlung wesentlich über dem gegenwärtigen gesetzlichen Mindestlohn liegen, damit SGD-Leistende nicht in Armut leben müssen und wesentlich besser leben können als jetzige ALGII-(Hartz-IV)-Empfänger. Andererseits sollte ein Anreiz erhalten bleiben, im regulären Arbeitsmarkt nach Beschäftigung zu suchen. Schließlich sollte der Gemeinwohldienst flexibel gestaltbar sein für Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenslagen.
Die Flexibilität sowie der Anreiz, im normalen Arbeitsmarkt nach Beschäftigung zu suchen, wäre gegeben, wenn die Arbeitszeit im SGD mindestens 15, maximal aber 30 Stunden die Woche betragen dürfte. Die Mindestzahl an Stunden würde den SGD klar vom Ehrenamt unterscheiden, das nur selten 6 Stunden die Woche übersteigt. Die Maximalzahl würde bedeuten, dass SGD-Leistende mehr verdienen könnten, indem sie entweder zusätzlich zum SGD Teilzeit woanders arbeiten oder eine selbständige Tätigkeit ausüben, oder indem sie statt des SGDs einer besser bezahlten Vollzeittätigkeit nachgehen.
Bei einem einheitlichen Satz von 12,50 Euro die Stunde ließe sich allein durch den SGD ein Einkommen von rund 750 bis 1500 Euro erzielen, bzw. in einem Haushalt mit zwei erwachsenen Personen 1500 bis 3000 Euro (Arbeitnehmer-Brutto). Unter der Voraussetzung, dass alle anderen Sozialleistungen bestehen bleiben, dürfte das die allermeisten Haushalte gegen Armut absichern. Je nach Zusammensetzung des Haushaltes, anderen Verdiensten im Haushalt und lokalem Mietspiegel würden manche Haushalte mit Einkommen durch Gemeinwohldienst ihr Einkommen zum Beispiel durch ALG II aufstocken, genau wie dies schon viele Menschen im Niedriglohnsektor tun.
Alternativ wäre der Stundensatz von 12,50 Euro das Minimum, und anspruchsvollere Gemeinwohldienste würden etwas besser bezahlt (z.B. bis zu 18 Euro die Stunde; maximales Monatsverdienst etwa 2150 Euro). Die Bezahlung könnte sich in diesem Fall nach definierten Entgeltgruppen des TVöD (Tarifordnung des öffentlichen Dienstes) oder vergleichbaren Tarifabschlüssen in anderen Bereichen richten und wäre damit Sache der entsprechenden Tarifverhandlungen. Dies könnte den Gemeinwohldienst auch für qualifiziertere Menschen attraktiver machen und würde die Löhne, die diesen Menschen im normalen Arbeitsmarkt bezahlt werden, stärker beeinflussen.
Wie soll der Gemeinwohldienst finanziert werden?
Wenn SGD-Leistende nach dem Einheitssatz bezahlt würden, 3 Millionen Menschen einen Gemeinwohldienst leisteten und durchschnittlich 20 Stunden die Woche arbeiteten, würde deren Bezahlung etwa 43 Milliarden Euro Steuergelder im Jahr kosten. Es ist allerdings alles andere als sicher, dass sich so viele Menschen tatsächlich für einen Gemeinwohldienst interessieren würden, weshalb dies eher zu hoch als zu niedrig geschätzt ist.
Wie könnte diese Summe finanziert werden? Hier ist es zunächst wichtig zu erwähnen, dass die gesamten Steuereinnahmen von Bund und Ländern etwa 600 Milliarden Euro betragen – es geht also um etwa 7 Prozent der gegenwärtigen Steuereinnahmen. Es gibt grundsätzlich mehrere Möglichkeiten, diese Ausgaben zu finanzieren:
- Finanzierung durch verminderte Ausgaben für andere Sozialleistungen, weil diese nicht mehr im gleichen Umfang benötigt werden. Das betrifft nicht nur Gemeinwohldienstleistende, die weniger Sozialleistungen beanspruchen als ehedem, sondern auch Bezieher von niedrigen Löhnen, die bisher ihren Lohn mit ALG II oder Wohngeld und anderen Sozialleistungen aufgestockt haben, die aber infolge ihrer besseren Verhandlungsposition nun einen besseren Lohn erhalten und diese Aufstockungen nicht mehr brauchen.
- Finanzierung durch Einsparungen in anderen Bereichen. Die Tätigkeiten der Gemeinwohldienstleistenden könnten viele soziale Problem vermindern und dadurch staatliche Kosten senken. Kriminalität, Gewalt und Vandalismus könnten zum Beispiel abnehmen, was zu verringerten staatlichen Ausgaben für Polizei und Instandhaltung öffentlichen Eigentums führen würde. Solche indirekten Entlastungen können geschätzt werden, nachdem der Gemeinwohldienst in einigen Städten in großem Stil erprobt worden ist.
- Verschiebung der Einkommen zugunsten von Arbeitseinkommen auf Kosten von Kapitaleinkommen. Die Einführung eines selbstbestimmten Gemeinwohldienstes soll dazu führen, dass die Bezahlung im gesamten Niedriglohnbereich angehoben wird. Menschen mit besseren Löhnen zahlen mehr Einkommensteuer, und ihre erhöhten Konsumausgaben führen zu erhöhten Umsatzsteuern bei den lokalen Unternehmen. Gleichzeitig führen verbesserte Löhne zumindest kurzfristig zu verminderten Kapitaleinkünften; deren tatsächliche Besteuerung ist aber oft recht gering. Unterm Strich könnte sich eine Erhöhung der Steuereinnahmen ergeben. Aufschluss darüber können Modellrechnungen ergeben sowie die Erfahrungen, sobald der SGD in einigen Städten in großem Stil eingeführt worden ist.
- Ökosteuern oder -abgaben. Steuern oder Abgaben auf CO2-Emissionen und andere ökologische Belastungen sollen den Ressourcenverbrauch senken und ökonomische Anreize zu vermindertem Verbrauch fossiler Energieträger erzeugen. Dies ist wichtig, damit die Nachfrage am Markt die umweltfreundlichsten Alternativen fördert, besonders wenn erhöhte Einkommen zu größerer Nachfrage führen. Gleichzeitig sollen Ökosteuern dazu führen, dass neue Stellen im ersten Arbeitsmarkt geschaffen werden, z.B. durch Gebäudesanierung, Investitionen in Energieeffizienz und nachhaltige Landwirtschaft. Hierdurch wird die Zahl der Menschen, die einen Gemeinwohldienst leisten wollen, vermindert.
- Erhöhte Steuern auf hohe Erbschaften, hohe Vermögen, hohe Einkommen und/oder Kapitalerträge; verschärfte Verfolgung von Steuerbetrug und Geldwäsche. Erhöhte Steuern in diesem Bereich sind aus mehreren Gründen sinnvoll:
- Erhöhte Steuern können nur von jenen erhoben werden, die überschüssiges Einkommen haben; sie sollten im Sinne der Leistungsgerechtigkeit besonders auf leistungslose Einkommen fokussiert werden (ein Erbe hat zum Beispiel nichts geleistet, um diese Erbschaft zu erhalten).
- Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts sollten Steuern auf die Reichsten angehoben werden, um die Einkommensunterschiede zwischen Armen und Reichen zu vermindern.
- Im Sinne der Ankurbelung notwendiger Investitionen sollten Steuern auf Reiche erhöht werden, weil es bei einer übermäßigen Konzentration der Vermögen schlicht zu wenige sinnvolle sowie profitträchtige Investitionsmöglichkeiten in der Realwirtschaft gibt, um das gesamte nach Anlagemöglichkeiten suchende Kapital zu binden. Deshalb geht bei hoher Vermögenskonzentration ein sehr großer Anteil der „Investitionen“ in unproduktive Spekulation. Volkswirtschaftlich sinnvoller angelegt werden Investitionen zum Beispiel von Existenzgründerinnen, die neue Unternehmen mit innovativen, dafür aber riskanteren Geschäftsideen gründen. Staatliche Einnahmen können für notwendige Ausgaben verwendet werden, die keine hohen Profitraten versprechen (z.B. für die Infrastruktur, Daseinsvorsorge, Kultur, Bildung und Forschung).
Es gibt in Deutschland durchaus Raum für Steuererhöhungen, da die Staatsquote (das Verhältnis der Steuern zum gesamten Volkseinkommen) und die Steuerbelastung speziell der höchsten Einkommensklassen seit den 90er Jahren stark zurückgegangen sind (Quelle: Jens Berger, Wem Gehört Deutschland? Westend Verlag, Frankfurt/Main, 2014). Infolge der Corona-Pandemie sind die Einkommen auf der Grundlage von Eigentum (zum Beispiel Mieteinnahmen) kaum betroffen worden, während die Einkommen auf der Grundlage eigenen (auch unternehmerischen) Arbeitseinsatzes sehr stark betroffen worden sind. Deshalb wäre eine stärkere Besteuerung der Vermögen aus Gerechtigkeitsgründen mehr als gerechtfertigt.
Die Frage, wie genau ein selbstbestimmter Gemeinwohldienst finanziert werden kann, wird wirklich relevant, aber auch beantwortbar, wenn er in einigen Gegenden in großem Stil eingeführt worden ist und die Ausdehnung auf ein flächendeckendes Angebot erwogen wird.
Wie soll ein Gemeinwohldienst in der Praxis gestaltet werden?
Wer finanziert den Gemeinwohldienst?
Vorzugsweise die Bundesregierung. Es könnten aber auch Bund und Länder gemeinsam dazu beitragen.
Wer befindet über Anträge und deren Gemeinwohlorientierung?
Richtlinien müssen per Gesetz oder Verordnung erlassen werden, mitsamt einer Positivliste möglicher Tätigkeiten. Die Positivliste soll nicht erschöpfend sein, um möglichst freien Raum für Innovation zu geben. Anträge sollen an kommunale Stellen gestellt werden. Details, wer an der Beurteilung der Anträge beteiligt werden soll, müssten ausgearbeitet werden. Möglich wäre z.B., dass örtliche Vertreterinnen gemeinnütziger bürgerschaftlicher Organisationen hierzu herangezogen würden.
Wer bestätigt, ob der Gemeinwohldienstleistende seine Arbeit tatsächlich leistet?
Dies muss individuell bestimmt werden und ist damit Gegenstand jedes einzelnen Antrags. Wenn der Gemeinwohldienstleistende im Kontext einer gemeinnützigen Organisation arbeitet, könnte jemand von dieser Organisation bestätigen, dass er seine Arbeit leistet. Eine Gemeinwohldienstleistende, die ein eigenes Projekt verwirklicht, könnte wie im gewöhnlichen Projektmanagement Arbeitsnachweise an eine Person abliefern, die über die Qualität dieser Arbeit befindet und ihre Befunde an die finanzierende Stelle weitergibt. Jene Gemeinwohldienstleistende, die bedürftigen Menschen helfen, könnten Bestätigungen von diesen Menschen abholen, dass sie ihren Dienst getan haben.
Wie wird der Gemeinwohldienst von Stellen im regulären Arbeitsmarkt differenziert?
Es kann erstens bestimmt werden, dass kein privatwirtschaftliches oder öffentliches Unternehmen Gemeinwohldienstleistende beschäftigen darf. Zweitens dürfen auch gemeinnützige Vereine oder Verbände keine Gemeinwohldienststelle ausschreiben – wer jemanden für eine ausgeschriebene Stelle anstellen will, muss diese auch nach dem gewöhnlichen Tarif bezahlen. Drittens darf man als Gemeinwohldienstleistende keine marktgängigen Produkte oder Dienstleistungen herstellen, für die es potenzielle kaufkräftige Kunden gibt. Die Gemeinwohldienstleistenden sollen sich zum Beispiel für die Erhaltung von Umweltqualitäten einsetzen, die niemandem gehören, oder bedürftigen Menschen helfen, die sich diese Hilfe sonst nicht leisten könnten. Viertens darf eine Gemeinwohldienststelle nur Teilzeit (also 18 bis 20 Stunden die Woche) ausgeübt werden.
Wie wird vermieden, dass gemeinnützige Organisationen normal bezahlte Leute entlassen und stattdessen ihre Arbeit von Gemeinwohldienstleistenden machen lassen?
Wie oben beschrieben, dürfen gemeinnützige Organisationen sich nicht aktiv darum bemühen, eine Stelle mit einem Gemeinwohldienstleistenden zu füllen. Andererseits können sie sich kaum darauf verlassen, dass jemand mit den passenden Qualifikationen einfach daherkommt und einen passenden Gemeinwohldienst vorschlägt. Dies dürfte den hier angedeuteten Missbrauch in Grenzen halten. Wenn nötig könnten noch weitere Maßnahmen eingeführt werden, um Missbrauch zu verhindern.
Wie gehen Organisationen damit um, wenn Gemeinwohldienstleistende besser bezahlt werden als regulär bezahlte Angestellte, die ein ähnliche Arbeit verrichten?
Sie können die regulär bezahlten Leute besser bezahlen oder ihre Arbeitsbedingungen verbessern.
Ist der bürokratische Aufwand nicht viel zu groß, über all diese Anträge zu befinden und die Leistungen der SGD-Leistenden zu überwachen?
Der bürokratische Aufwand ist grundsätzlich nicht anders als bei jeder Stelle im normalen Arbeitsleben, ob im öffentlichen oder privaten Sektor (einschließlich des Kontrollaufwands, dass die Arbeit tatsächlich geleistet wird).
Der bürokratische Aufwand wird dagegen stark verringert für
- Menschen, die nach Arbeit suchen (weil sie sehr viel weniger vergebliche Stellenbewerbungen schreiben müssen),
- Jobcenter (weil es sehr viel einfacher wird, für alle Arbeitssuchenden eine passende Lösung zu finden),
- Unternehmen, die Stellen ausschreiben (weil sich weniger Menschen für jede Stelle bewerben und also weniger Stellenbewerbungen gesichtet werden müssen), und
- Menschen, die gemeinnützige Projekte starten wollen (weil ihre Suche nach Finanzierungsquellen wesentlich erleichtert wird).
Wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) nicht ein besserer Weg zur Umverteilung und Wahrung der Menschenwürde?
Nein, aus den folgenden Gründen:
- Das gegenwärtig gültige Prinzip, dass soziale Sicherungen an die ausbezahlt werden, die sie brauchen, ist durchaus richtig – nur die Methode, wie dieses Prinzip derzeit verwirklicht wird, ist fehlerhaft. Heute müssen Antragsteller/innen alle sechs Monate darstellen, dass sie weiterhin bedürftig sind und dass sie gescheitert sind in ihren Versuchen, Stellen zu finden – und sind in der Folge gezwungen, geschenktes Geld anzunehmen, ohne dieses Geschenk adäquat erwidern zu können. Ein BGE schüttet das Kind mit dem Bade aus indem es nicht nur die Bedürftigkeitsprüfung abschafft, sondern nicht mal danach fragt, was gebraucht oder gewollt wird. Im Falle des selbstbestimmten Gemeinwohldienstes entfällt die Bedürftigkeitsprüfung; stattdessen erhalten alle die Chance, eine bezahlte Arbeit zu leisten, die sie selbst für machbar und sinnvoll halten. Wer bereit ist, für ein moderate Bezahlung zu arbeiten, zeigt schon dadurch, dass er dieses Geld will und braucht, und braucht dieses Geld nicht als Geschenk anzunehmen, sondern als Lohn geleisteter Arbeit. Das ist mit Menschenwürde sehr viel besser vereinbar als ein Geschenk annehmen zu müssen.
- Ein selbstbestimmter Gemeinwohldienst gibt gering entlohnten Menschen eine Alternative, die nicht nur finanziell attraktiver ist als eine Niedriglohntätigkeit, sondern die auch mit mindestens ebenso viel Selbstachtung und sozialer Anerkennung verbunden ist, und die ihnen Erfolgserlebnisse beschert. Diese Alternativoption würde es vielen Menschen ermöglichen, niedrig entlohnte Stellenangebote abzulehnen, oder bei ihrem jetzigen Lohngeber eine bessere Bezahlung auszuhandeln. Da hingegen das BGE an alle ausgezahlt wird, steht jemand mit BGE ohne Arbeitseinkommen immer finanziell, und meist auch in Selbstachtung und sozialer Anerkennung, schlechter da als mit BGE plus Arbeitseinkommen. Es ist in einer solchen Lage nicht so einfach, ein Stellenangebot wegen zu geringer Bezahlung abzulehnen, denn gerade für Menschen, die nahe am Existenzminimum leben, zählt jeder Euro. Dies gilt um so mehr, wenn ein BGE zu gering ist, um Menschen wirklich gegen Armut abzusichern.
- Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen würde der Gedanke legitimiert, dass unverdientes Einkommen eine unproblematische Sache ist – und würde somit auch dazu beitragen, das unverdiente Einkommen sehr reicher Menschen zu legitimieren (so ähnlich, wie kleine Aktienbesitzerinnen auf den Dax schauen, als ob ihr Einkommen stärker von den Aktienpreisen als von den Tarifabschlüssen abhingen). Darüber hinaus würde es nach Einführung eines BGE sehr viel schwieriger, einen gesetzlichen Mindestlohn politisch zu begründen – der Lohn müsste ja nicht die gesamten Lebenshaltungskosten der Empfänger decken, sondern nur die Kosten, die das BGE übersteigen. Es gäbe also höchstwahrscheinlich die Tendenz, dass der gesetzliche Mindestlohn entweder ganz aufgegeben würde, oder dass er der Inflation nicht angepasst und also langsam in seiner Kaufkraft vermindert würde. Diese Effekte entsprechen nicht den Zielsetzungen linker Befürworter eines BGE, sondern den Vorstellungen von Neoliberalen im Gefolge von Milton Friedman.
- Verfechter eines BGE meinen, es würde bürokratische Kosten stark vermindern. Tatsächlich werden die bürokratischen Kosten des gegenwärtigen Sozialstaats oft überbewertet (in Deutschland sind es etwa 3 Milliarden aus dem gesamten Steueraufkommen von etwa 600 Milliarden). Während ein BGE durchaus im Bereich der Bedürftigkeitsprüfung Bürokratiekosten einsparen würde, würde es umgekehrt die Kosten der Einkommenserfassung stark erhöhen. Wenn ein BGE als einkommensabhängige „negative Einkommensteuer“ (sprich: Subvention) niedriger Einkommen gestaltet würde, würde es die genaue Erfassung aller Einkommen erfordern – selbst von Einkommen, die so niedrig sind, dass sie derzeit nicht steuerpflichtig sind und deshalb meist nicht erfasst werden. Außerdem würde ein BGE eine weit stärkere Steuerprogression erfordern, was die Anreize, Steuern zu hinterziehen, stark erhöhen würde. Deshalb müssten weit mehr Bürokraten in der Steuerfahndung eingesetzt werden. Der Bürokratieabbau in den Jobcentern würde infolgedessen leicht durch den zusätzlichen Aufwand in den Finanzämtern wettgemacht werden.
- Befürworter eines BGE erwarten, dass es Menschen dazu animieren würde, sich mehr für soziale Angelegenheiten einzusetzen, weil ihnen die Existenzangst genommen würde. Die Richtigkeit dieses Argumentes hängt erstens von der tatsächlichen Höhe des BGE ab (die meisten Menschen hätten ebenso viel Existenzangst wie heute, wenn das BGE die jetzigen Sozialleistungen nicht oder nur unwesentlich übersteigen würde). Zweitens geht dieses Argument davon aus, dass alle Menschen mehr oder weniger gleich sind, eine Tabula rasa ohne Lebensgeschichte. Es trifft sicher zu, dass manche Leute ein BGE dazu nutzen würden, sich etwas von der Erwerbsarbeit zu lösen und mehr ihrer Zeit gemeinwohlorientierten Tätigkeiten zu widmen. Wer jedoch durch leidvolle Erfahrungen depressiv geworden ist, Hoffnung aufgegeben hat, ein vermindertes Selbstwertgefühl hat usw., wird durch ein garantiertes Einkommen kaum zu neuen Leistungen animiert werden. Kriminelle könnten ein BGE sogar als willkommene Subvention ihrer kriminellen Aktivitäten verwenden. Es reicht nicht, zu sagen, die „durchschnittlichen“ Effekte eines BGE würden „wahrscheinlich“ in die eine oder andere Richtung gehen, bevor man sich daran macht, den gesamten Sozialstaat grundlegend umzubauen, oder gar bestehende soziale Sicherungen zugunsten eines BGE ganz abuzschaffen. Ein selbstbestimmter Gemeinwohldienst geht die Sache ganz anders an: er wird als Ergänzung (nicht als Ersatz) bestehender sozialer Sicherungen schrittweise eingeführt, und Menschen werden bezahlt, sich im Sinne des Gemeinwohls zu betätigen. Wenn sie keine Leistung bringen für ihre Bezahlung, kann ihnen gekündigt werden.
- Ein BGE ist entweder zu gering, um die von seinen linken Befürwortern erwarteten Wirkungen zu erzielen, oder es ist unfinanzierbar. Vorschläge für ein BGE oder eine negative Einkommensteuer (Subvention) für niedrige Einkommen, die sich im Bereich der gegenwärtigen Grundsicherung bewegen, würden die materielle Lage der heutigen Erwerbslosen und Menschen im Niedriglohnsektor sowie ihre Verhandlungsposition gegenüber Lohngebern nur unwesentlich verbessern. Diese Vorschläge hätten allerdings den Vorteil, ohne riesige Steuererhöhungen finanzierbar zu sein (bemerke: ein Recht auf BGE bedeutet auch eine Verpflichtung aller Steuerzahler, das BGE zu finanzieren). Wenn ein BGE allerdings wirklich so hoch wäre, dass man davon einigermaßen gut leben könnte, würde es massive Steuererhöhungen erfordern (etwa eine Verdoppelung der gegenwärtigen Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen). Diese wären politisch kaum durchsetzbar. Zudem könnte es zu kaum steuerbaren Auswirkungen führen, falls viele Menschen sich tatsächlich vom Arbeitsmarkt zurückziehen würden, wodurch nicht zuletzt die Finanzierung des BGE infrage gestellt würde. Währenddessen könnte es eine starke Inflation der Preise von Gütern des täglichen Bedarfs geben, ohne dass im Lande entsprechend mehr produziert werden könnte (weil nicht genug Menschen zur Arbeit zur Verfügung stehen würden). Diese Inflation könnte dadurch vermieden werden, dass die betreffenden Güter aus Billiglohnländern importiert würden – aber in diesem Fall würde ein BGE in reichen Ländern von der Ausbeutung von Menschen in den armen Ländern abhängen! Im Gegensatz geht es bei einem Gemeinwohldienst nur um Zahlungen an eine begrenzte Zahl von Menschen, weshalb die Bezahlung durchaus so hoch liegen kann, dass sie die angestrebten Wirkungen erzielt. Gleichzeitig sind die Wirkungen immer politisch kontrollierbar, indem die Zahl der Stellen im Gemeinwohldienst von der Regierung bestimmt wird.
Siehe auch Ralf Krämers Kritik eines BGE aus gewerkschaftlicher Sicht:
Ralf Krämer, 2016: Bedingungsloses Grundeinkommen: Ein Alternative für Gewerkschaften? Gegenblende, das Debattenportal der Gewerkschaften.
Ralf Krämer, 2018: Eine illusionäre Forderung und keine soziale Alternative — Gewerkschaftliche Argumente gegen das Grundeinkommen. Beitrag zum Buch „Grundeinkommen kontrovers“, herausgegeben von Christoph Butterwegge und Kuno Rinke (Beltz, Weinheim).
Wie soll ein Gemeinwohldienst verwirklicht werden?
Jeder Schritt einer Einführung muss den nächsten vorbereiten, indem Erfahrungen gesammelt und ausgewertet werden. Dies könnte wie folgt passieren:
- Befragungen von Leuten, für die ein Gemeinwohldienst attraktiv sein könnte, was sie gerne als Gemeinwohldienst würden tun würden.
- Befragungen von Führungskräften gemeinnütziger Organisationen, welche Gemeinwohldienst-Tätigkeiten ihre eigenen Tätigkeiten ergänzen könnten. Das Ergebnis der beiden Befragungen soll benützt werden, um eine Positivliste möglicher Tätigkeiten zu erstellen und Richtlinien zu erstellen.
- Workshops und Konsultationen mit relevanten Ämtern, die an der Implementierung eines Gemeinwohldienstes beteiligt werden sollen. Das Ziel ist, konkrete Ausführungsbestimmungen zu erarbeiten.
- Pilotprojekte in einzelnen Kommunen, vorzugsweise an Orten mit hoher Erwerbslosigkeit; Angebot von einigen hundert Gemeinwohldienststellen. Alle Verfahrensabläufe werden erprobt, evaluiert und schließlich verbessert.
- Ausweitung auf einen größeren Maßstab, in einer größeren Zahl von Kommunen; Angebot von einigen tausend Gemeinwohldienststellen. Es werden weitere Erfahrungen gesammelt, nicht nur um die Verfahren weiter zu verbessern, sondern auch um die Folgewirkungen (zum Beispiel auf lokale Arbeitsmärkte) zu untersuchen.
- Schrittweise weitere Ausweitung auf ein bundesweites Programm, bis auf jegliche politisch gewollte Größenordnung. Durchweg wissenschaftliche Begleitung, um zu prüfen, ob die gewünschten Effekte eintreten, und um die Kosten sowie Ersparnisse besser einzuschätzen.
Es herrscht doch Vollbeschäftigung! Wozu brauchen wir jetzt ein Vollbeschäftigungsprogramm?
Während der Corona-Krise war bzw. ist dieses Argument zwar hinfällig, es kann aber bald wieder relevant werden. Allerdings: was heute als „Vollbeschäftigung“ bezeichnet wird, wäre in den 1960er und Anfang der 70er Jahren als krisenhafte Arbeitslosigkeit betrachtet worden, wie Zahlenreihen der Bundesagentur für Arbeit veranschaulichen. Diese Zahlen berücksichtigen nicht die weitverbreitete Unterbeschäftigung (Menschen, die 450 Euro im Monat verdienen, werden hier zum Beispiel nicht gezählt; weit aussagekräftiger sind die Zahlen über Unterbeschäftigung, die ich weiter oben aufführe). Zudem kann jede Krise die Arbeitslosigkeit sofort emporschnellen lassen. Es ist besser, schon vor der Krise mit einer guten Arbeitsmarktpolitik gewappnet zu sein, als erst im Nachhinein verspätet zu reagieren.
Im gegenwärtigen Wirtschaftssystem kommen Krisen immer wieder vor. Wenn es keine Krise durch Corona gegeben hätte, wäre höchstwahrscheinlich 2020 oder wenig später durch andere Gründe eine Krise eingetreten – zum Beispiel durch weitverbreitete Spekulationsblasen, die zwangsläufig platzen. Es ist deshalb wichtig, grundsätzlich die Krisenanfälligkeit des gesamten Wirtschaftssystems zu verringern. Dazu wäre ein Gemeinwohldienst ein positiver Beitrag.
Ist Ähnliches schon mal gemacht oder vorgeschlagen worden?
Der Gedanke, dass der Staat dafür sorgen soll, Vollbeschäftigung zu ermöglichen, kursiert mindestens seit John Maynard Keynes unter manchen Ökonomen. Eine kleine Zahl von Ökonomen propagiert eine „Job Guarantee“, die je nach Ausformung dem hier dargestellten Konzept recht ähnlich ist. Maßnahmen, um staatlicherseits gemeinwohlorientierte Tätigkeiten zu bezahlen, wurden mehrmals eingesetzt, unter anderem unter Franklin Roosevelt in den USA, und in Argentinien während der Wirtschaftskrise von 2002 bis 2007. Es wurden allerdings einschränkende Bedingungen an die Teilnahme an diesen Maßnahmen geknüpft, die dem Vorschlag eines selbstbestimmten Gemeinwohldienstes nicht entsprechen. Die Ergebnisse waren durchaus positiv zu bewerten, doch wurden diese Programme wegen politischer Widerstände wieder eingestellt.
Quellen:
Fuchs, B., 2021, „So könnte eine Welt ohne Arbeitslosigkeit aussehen.“ Perspective Daily.
Höfgen, M. 2020. Mythos Geldknappheit, Modern Monetary Theory oder warum es am Geld nicht scheitern muss. Stutgart: Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht. Siehe Kapitel 10.
Kaboub, F., 2007, “Employment Guarantee Programs: A Survey of Theories and Policy Experiences,” Working Paper 498, Annandale-on-Hudson, NY: The Levy Economics Institute.
Paul, M., Darity, W., Hamilton, D., and Price, A. E., 2017, „Returning to the Promise of Full Employment: A Federal Job Guarantee in the United States,“ Insight Center Research Brief, Volume 2.
Tcherneva, P. R., 2012, “Beyond Full Employment: The Employer of Last Resort as an Institution for Change,“ Working Paper No. 732, Annandale-on-Hudson, NY: The Levy Economics Institute.
Wray, L. R.; Dantas, F.; Fullwiler, S.; Tcherneva, P.; Kelton, A., 2018, „Public Service Employment: A Path to Full Employment,“ Research Project Report, Annandale-on-Hudson, NY: The Levy Economics Institute.
Würde eine Regierung je eine solche Zahl von Gemeinwohldienst-Stellen anbieten, dass die Macht der arbeitenden Menschen tatsächlich so wie hier vorgesehen gestärkt würde?
Bestimmt nicht sofort – und das wäre gar nicht gut, weil der Vorschlag zuerst in kleinem Maßstab erprobt werden muss, bevor er in großem Maßstab umgesetzt wird. Wenn der Gemeinwohldienst jedoch in mittelgroßem Maßstab eingeführt würde, könnten genug Menschen seinen Nutzen erkennen, um eine Bewegung für seine Vergrößerung in Gang zu setzen. Dies könnte einen selbstverstärkenden Kreislauf starten, der mit der Zeit zur Ausweitung auf den hier vorgesehenen Maßstab führen würde – so ähnlich, wie das allgemeine Wahlrecht und die gesetzliche Krankenversicherung nicht sofort, sondern nur schrittweise eingeführt wurden.
Allerdings wäre ein selbstbestimmter Gemeinwohldienst schon dann sinnvoll, wenn er nur in kleiner oder mittlerer Größenordnung eingeführt würde. Er würde nämlich vielen Menschen die Chance geben, etwas Sinnvolles für das Gemeinwohl zu tun, was letztlich auch vielen weiteren Menschen einen Nutzen bringen würde.