Ich bin eine Trau.
Was soll das bedeuten?
Trau – das ist mein Begriff für trans Frau, aber in der Form eines einfachen statt eines zusammengesetzten Wortes.
Für mich bildet „Trau“ genau ab, was ich bin. Ich bin kein „Mann“, da ich mich diesem Geschlecht kaum zugehörig fühle, da ich viele Männern zugeschriebene Gefühle einfach nicht habe, da ich mich Frauen stärker verbunden fühle als Männern, da ich mich nur in Frauenkleidung wohl fühle. Ich bin aber auch keine „Frau“ da das Frau-Sein mit vielen Erfahrungen verbunden ist, die ich nie hatte und nie werde haben können. Das Sein kann nicht vom eigenen Körper getrennt werden, und ich habe nun mal keinen Frauenkörper. Ich habe nie eine monatliche Blutung gehabt, ich hatte nie die Hoffnung oder Erwartung oder Angst, schwanger zu werden, ich brauchte mich nie mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen, ein Kind auf die Welt zu bringen. So gut wie alle Frauen müssen sich mit diesen Dingen auseinandersetzen, egal ob sie Kinder auf die Welt bringen wollen oder nicht. Diese und viele andere Erfahrungen vom Frau-Sein abzutrennen, ist letztlich eine Negierung des Körpers und reduziert das Sein auf reine Geistigkeit. Wenn Frau oder Mann-Sein auf das bloße Gefühl reduziert wird, sich als Frau oder Mann zu fühlen, verlieren die Wörter „Frau“ und „Mann“ weitgehend ihren Inhalt.
Allerdings kann das Frau oder Mann-Sein auch nicht alleine auf den Körper reduziert werden. Wären Menschen rein biologische Wesen, ohne Kultur und ohne Gesellschaft, ohne gesellschaftliche Rollen und Traditionen, ohne Recht und Gesetz, dann könnte man die Begriffe „Frau“ und „Mann“ auf die biologische Funktion der Reproduktion reduzieren. Frauen sind aber nicht bloße „Weibchen“ und Männer nicht bloße „Männchen“, sondern Menschen werden in ihren Familien, Gesellschaften, Kulturen entsprechend den vorherrschenden Genderrollen erzogen. Deshalb gibt es Vorstellungen, wie sich eine „rechte“ Frau und ein „rechter“ Mann zu verhalten haben. Wer sich in dieses Schema nicht einfügen kann, sich lieber nach vielen Vorgaben für das „andere“ Geschlecht richtet, oder sich lieber im Körper des „anderen“ Geschlechts sähe, gehört einfach nicht in diejenige Gender-Kategorie, die dem körperlichen Geschlecht entspricht.
Doch auch die Begriffe trans Frau oder Transfrau gefallen mir nicht so recht. Mit den Unterschieden zwischen diesen Schreibweisen möchte ich mich hier nicht aufhalten – in der Aussprache sind sie sowieso kaum zu unterscheiden. Für mich suggerieren diese Begriffe, dass ich aus zwei gegensätzlichen Teilen bestehe. Ein weiblicher Geist in einem männlichen Körper. Eine Zweiheit und keine Einheit. Eine Frau, die danach strebt, aus ihrem männlichen Körper auszubrechen, es aber nicht so ganz hinbekommt. Eine Person, die immer kämpfen muss, ihre Weiblichkeit herauszustellen, die gegen ihren eigenen Körper kämpfen muss, um möglichst wie eine Frau auszusehen. Damit können verbunden sein Operationen, lebenslange Hormonbehandlung, Entfernung der Gesichtshaare, die womöglich alle paar Jahre wiederholt werden muss, langwieriges Stimmtraining mit nicht ganz überzeugenden Ergebnissen, tägliche Kosmetik. Feministinnen haben schon lange kritisiert, dass Frauen dazu gedrängt werden, ihre Körper an modische und von Männern definierte Schönheitsideale anzupassen und sich dadurch selbst Gewalt antun. Ist es dann sinnvoll, wenn trans Frauen noch stärker an ihren Körpern arbeiten!
Das Wort „Trau“ birgt für mich aber großes Potenzial. Es geht mir darum, eine neue Einheit zu finden, meinen eigenen Weg. Dass eine Person mit „Männergesicht“ „Frauenkleidung“ trägt braucht kein Gegensatz zu sein – sondern eine Person mit „Trauengesicht“ trägt „Trauenkleidung“. Mit meiner „Trauenkleidung“ kann ich Elemente der Damenmode übernehmen und an meinen Körper anpassen, dabei die natürliche Eleganz und Anmut meines Körpers hervorheben, ohne mich danach richten zu müssen, welche Schönheitsideale die Modeindustrie für Frauen geschaffen hat. Ich kann bestimmte „weibliche“ Elemente sogar stärker pflegen, als Frauen dies gewöhnlich tun (zum Beispiel trage ich im Gegensatz zu den meisten Frauen, die ich kenne, selten Hosen). Ich habe keinen Geist einer Frau im Körper eines Mannes, sondern einen Trauengeistkörper. Auf geistiger Ebene bin ich „Trau“, weil ich nicht ebenso denke und fühle wie Frauen – aber auch nicht so wie Männer, sondern eben wie Trauen. Mein körperliches Wohlgefühl in Frauenkleidern trieb mein wachsendes Bewusstsein an, Trau zu sein – in dieser Hinsicht führte mein Körper und mein Verstand folgte. Ich freue mich an denjenigen meiner körperlichen Eigenschaften, die eher typisch für Frauen als für Männer sind. Ich versuche nicht, meinen Körper dazu zu zwingen, ein Frauenkörper zu werden, sondern ich entwickle mich in Körper und Geist als Trau. Sofern ich meinen Körper modifiziere, richte ich mich nach meiner Vorstellung, wie ich als Trau sein will.
Wenn ich ganz einfach und in aller Öffentlichkeit Trau bin, brauche ich niemandem etwas vorzumachen. Ich verberge nicht, das ich kein „rechter“ Mann bin und versuche nicht, wie eine „wirkliche“ Frau zu erscheinen (sogenanntes „passing“), denn beides würde sehr große Anstrengungen und letztlich Selbstverleugnung von mir verlangen.
In anderen Worten, ich bin vollkommen „out“. Ich bin „out“ wie eben alle Frauen als Frau „out“ sind und alle Männer als Mann. Wie alle Kopftuch tragende Muslimas und Kippa tragende Juden. Wie alle Ausländis, die die Sprache des Landes, in dem sie leben, mit fremder Aussprache oder mit beschränktem Wortschatz sprechen. Wie alle Personen, deren Hautton in dem Lande, in dem sie leben, als dunkler als „normal“ betrachtet wird. Wie alle Menschen, die an einen Rollstuhl gebunden sind. Wie alle Menschen, die sich in gewissen Kontexten nicht hinreichend „gebildet“ ausdrücken. Wir alle fallen auf die eine oder andere Weise in gewissen Situationen als irgendwie anders auf. Das ist an sich nicht problematisch. Wir Menschen beobachten einander ständig und bemerken Unterschiede – wir können gar nicht anders. Und Unterschiede gibt es immer, da wir keine Klone voneinander sind.
Traumatisch und problematisch ist es, als minderwertig behandelt, ausgegrenzt, angepöbelt oder gar gewalttätig angegriffen zu werden wegen einer „Andersartigkeit“ – sei es das Geschlecht, die kulturelle oder nationale Herkunft, die Hautfarbe, die Religionszugehörigkeit, die sexuelle Orientierung usw. Glücklicherweise bin ich bisher nie angegriffen worden weil ich Trau bin. Vielerorts hätte ich dieses Glück nicht. Wie dem auch sei, ist es für mich jetzt selbstverständlich, „out“ zu sein. Leider ist es noch immer nicht selbstverständlich, dass Menschen, die sichtbar „anders“ sind, als gleichwertig behandelt werden.
Hallo Wiltrude, danke für deinen Einblick. Interessant finde ich den Aspekt, daß man sich nicht mehr unbedingt den gesellschaftlichen Erwartungen beugen sollte. Eine Frau muss keine Röcke mehr tragen, kann das aber zumeist unbedarft tun, genauso wie eine von dir genannte Trau sich nicht feminin umoperieren lassen muss. Jedoch ist die Akzeptanz dafür abhängig von gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre und auch vom Umfeld. In konservativen oder rechten Regionen sieht es in Deutschland wieder anders aus. Ich hoffe weiterhin auf eine und trage zu einer emanzipierten und liberalen Gesellschaft bei, die alle Minderheiten akzeptiert und in ihren Wesen und ihrer Entwicklung unterstützt. Von Vielfalt profitieren letztlich alle.