Freiere Märkte verbreiten

Im letzten Blogbeitrag habe ich dafür plädiert, die Bedingungen für „relativ freie Märkte“ in der Welt zu verbreiten – definiert als Märkte, bei denen alle Beteiligten frei an der Gestaltung der Regeln mitwirken können. Ich stellte die Frage, wie Länder mit relativ freien Marktbedingungen ihre Handelsbeziehungen so organisieren können, dass sich die Bedingungen für größere Freiheit tendenziell immer weiter ausbreiten und nicht zurückgedrängt werden.

Ein Versuch in diese Richtung ist die Verabschiedung von Lieferkettengesetzen, wie zum Beispiel das deutsche „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ (das zum 1.1.23 in Kraft getreten ist) und die EU „Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit.“ Letztere liegt als Entwurf vor; wenn sie in Kraft tritt, werden die 27 EU-Mitglieder entsprechende Gesetze erlassen müssen. Das Ziel ist, Unternehmen über einer bestimmten Größe zu verpflichten, dafür zu sorgen, dass die Produkte, die sie aus dem Ausland importieren, unter einigermaßen fairen Arbeits- und Umweltbedingungen hergestellt worden sind. Der Entwurf der EU-Richtlinie verlangt von den Unternehmen, die Produktionsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette zu beachten; das deutsche Gesetz erfordert nur, dass sie die direkten Zulieferer beachten. Dies sind begrüßenswerte Initiativen, trotz ihrer Beschränkungen (zum Beispiel dürfte die Überwachung schwierig sein, kleinere Unternehmen sind ausgenommen und daher ist ein Großteil der Importe überhaupt nicht betroffen, und das Finanzwesen ist praktisch gar nicht betroffen). Einige Links über diese Gesetzesinitiativen sind am Ende dieses Blogbeitrags aufgeführt.

Allerdings haben selbst die besten Lieferkettengesetze ein wichtiges Manko: sie ziehen vorwiegend private Firmen zur Verantwortung. Folglich müssen Privatfirmen Aufgaben übernehmen, für die sie nicht geschaffen wurden (zum Beispiel Überwachung der Arbeitsbedingungen unter ihren Zulieferern) und die sie daher wahrscheinlich schlecht und mit wenig Engagement erledigen werden. Außerdem können (und sollen) selbst die größten Unternehmen nicht für die Gesetzgebung und die Überwachung der Gesetze eines Landes verantwortlich gemacht werden. Wie die offizielle englischsprachige Version der FAQ des BMZ mitteilt, „Es wird von keinem Unternehmen erwartet, die rechtlichen und politischen Bedingungen des Gastlandes zu verändern.“ Die Verbreitung relativ freier Märkte in andere Länder betrifft aber notwendigerweise die Verantwortlichkeiten von Regierungen: Gesetze zum Schutz von Meinungsfreiheit, Umwelt, Rechten arbeitender Menschen usw. zu erlassen, durchzusetzen und selbst zu befolgen.

Deshalb schlage ich vor, zusätzlich zu Lieferkettengesetzen, auf dem Ansatz von Antidumpingzöllen aufzubauen. Laut Regeln der Welthandelsorganisation dürfen importierende Länder diese Zölle erheben auf unfair subventionierte Produkte, die das exportierende Land im Ausland billiger verkauft als zuhause (und damit meist auch unter den Produktionskosten). Diese übermäßig billigen Preise machen es den Wettbewerbern schwierig oder unmöglich, die betreffenden Produkte auf verantwortliche Weise herzustellen und zu verkaufen. Die Zölle werden rechtfertigt als Verteidigung gegen solchen unfairen Wettbewerb. Unten habe ich ein paar Quellen zu Antidumpingzöllen aufgeführt.

Allerdings werden Antidumpingzölle oft recht willkürlich verhängt (gegen manche Länder aber nicht gegen andere), und die Regierung des importierenden Landes kann die Erlöse verwenden wie sie will. Sie sind deshalb eher eine Strafmaßnahme statt einer Maßnahme, wirklich freie und faire Marktbedingungen zu verbreiten.

Stattdessen schlage ich vor, Antidumpingzölle an klar und transparent dargestellte Kriterien zu binden, und die erzielten Erlöse innerhalb des exportierenden Landes für die Beseitigung der Ursachen für die Zölle zu verwenden. Ich bezeichne solche Zölle als „Antidumpingzölle für Demokratie“, kurz ADD. Sofern die Regierung eines exportierenden Landes nicht erlaubt, die Mittel auf diese Weise auszugeben, können sie in einem anderen Land verwendet werden, gegen das ähnliche Zölle verhängt werden. Unter keinen Umständen dürfen diese Mittel im importierenden Landes ausgegeben werden.

Als Beispiel: Land X exportiert Kleidung nach Land Y. Die Herstellung dieser Kleidung führt zu Wasserverschmutzung von einer Art, die in Land Y nicht erlaubt ist. Außerdem werden Gewerkschaften unterdrückt, weshalb die Arbeitslöhne sehr niedrig sind. Deshalb können Firmen in Land X Kleidung so billig produzieren, dass Firmen in Land Y nicht konkurrieren können. Außerdem können Firmen in X, die kostspieligere, umweltschonende Produktionsmethoden verwenden, und die ihre Arbeitis besser bezahlen, innerhalb X nicht konkurrieren. Klassische Antidumpingzölle würden lediglich der gesamten Kleidungsindustrie in X schaden.

Wenn jedoch Land Y (und hoffentlich auch weitere importierende Länder) ADD erheben würde, dann würden die erzielten Erlöse im Land X ausgegeben um u.am.:

  • Gesetze zum Schutz der Wasserqualität zu erlassen, und um Behörden zu finanzieren, die die Wasserqualität überwachen und die Befolgung der Gesetze durchsetzen,
  • die Einführung umweltfreundlicherer Technologien in der Textil- und Bekleidungsindustrie zu finanzieren (z.B. durch niedrig verzinste Darlehen),
  • Gesetze zur Unterstützung von freien Gewerkschaften zu erlassen und umzusetzen,
  • Gewerkschaften (vor allem in der Textil- und Bekleidungsindustrie) direkt finanziell zu unterstützen,
  • Gesetze zur Verbesserung der Arbeitskonditionen zu erlassen und umzusetzen, einschließlich der Mittel, um Arbeitsplätze regelmäßig zu inspizieren.

Je genauer die Gründe für die ADD artikuliert werden, um so zielgerichteter können die Mittel für Maßnahmen verwendet werden, die die ADD in Zukunft unnötig machen. Entsprechend der Umsetzung werden die Zölle vermindert oder ganz abgeschafft.

Wenn die Regierung des Landes X die Vergabe von Mitteln für diese Zwecke ablehnt, dann können sie stattdessen in einem anderen Land Z mit ähnlichen Umwelt- und Arbeitsbedingungen wie in Land X verwendet werden. So wird der Wandel in Land Z statt in Land Y unterstützt.

Damit die ADD ihre Ziele erreichen, müssen sie bestimmten Standards der Fairness und Gerechtigkeit entsprechen, die vor einem internationalen Gericht eingeklagt werden können. Zum Beispiel:

  • Ein Land darf verschiedenen Handelspartnern (Ländern oder Firmen) nicht offensichtlich verschieden strikte Standards abverlangen.
  • Ein Land darf anderen Ländern keine Standards auferlegen, die es selbst nicht befolgt.
  • Alle ADD müssen im Völkerrecht begründet werden, wie zum Beispiel in der Universellen Menschenrechtserklärung und anderen internationalen Konventionen, die von einer großen Zahl von Ländern unterzeichnet und ratifiziert worden sind.

Das heißt, die ADD müssen innerhalb eines institutionellen Rahmens eingeführt werden, der ihren willkürlichen Gebrauch vermeidet, der Standards setzt für die ADD, und der betroffenen Parteien ermöglicht, vor ein Gericht zu ziehen. Eine geeignete institutionelle Struktur müsste aufgebaut werden, entweder durch Anpassung der Zuständigkeiten von existierenden Organisationen wie der Welthandelsorganisation oder der Internationalen Arbeitsorganisation, oder durch Gründung einer neuen Organisation mit eigenem Mandat.

All dies ist heute Zukunftsmusik. Aber ein institutioneller Rahmen dieser Art ist meiner Meinung nach notwendig, um relativ freie Märkte in der ganzen Welt zu verbreiten. Er würde Ländern ein Mittel geben, eigene Gesetzgebung zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt gegen zerstörerischen Wettbewerb zu verteidigen. Dasselbe Mittel würde anderen Ländern helfen, eine fortschrittliche Agenda umzusetzen. Es würde Handelsbeziehungen stärken unter all den Ländern, die bereit sind, Wandel zu mehr Demokratie, Schutz der Menschenrechte und mehr Umweltschutz zu fördern. Mit der Zeit würden Antidumpingzölle für Demokratie den Wandel in der ganzen Welt unterstützen.

 

 

Quellen über Lieferkettengesetze

Initiative Lieferkettengesetz

Initiative Lieferkettengesetz

April 2022: Nachhaltige unternehmerische Sorgfaltspflicht: Stellungnahme zum Vorschlag der EU-Kommission

Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Bundesgesetzblatt

Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Vom 16. Juli 2021

Europäische Kommission

Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937

Siehe auch über die Schwierigkeiten, Lieferketten zurück zu verfolgen:

Kelly Oakes, 7.2.2023, Why fabric fraud is so easy to hide, BBC.

 

Quellen über Antidumpingzölle

Generalzolldirektion Deutschland. Antidumping

Europäische Kommission. Antidumpingzölle

 

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